Wie geht Therapie?

Meine Therapeutin hat mich immer beruhigt, wenn ich mal wieder mit meinem Perfektionismus zu ihr kam. »Es ist nicht nötig, dass du die perfekte Therapeutin bist. Du wirst Therapie niemals unter Kontrolle bekommen. Therapie ist viel größer. Und es bist viel weniger du, die den Prozess trägt, als gemeinhin angenommen wird. Die treibende Kraft ist die Sehnsucht des Patienten. Wichtig ist, dass du deinen Patienten mit seiner Sehnsucht siehst – und diese Sehnsucht mit trägst. So wird er sich ganz von allein in Richtung dieser Sehnsucht entwickeln.«

Auch wenn ich genau das ja als ihre Klientin erlebt habe, arbeite ich zur Zeit noch an diesem Ur-Vertrauen in Therapie. 
Ich hoffe natürlich, dass ich eines Tages auch dorthin gelange: Therapie so sehr verkörpern zu können wie sie und in jedem therapeutischen Augenblick von meiner Intuition getragen zu werden. 
Im Moment muss ich einfach noch denken.

Und habe das Bedürfnis, Therapie wirklich-richtig-ganz tief zu durchdringen, um zu verstehen, was genau da wirkt und wie ich es mir zunutzemachen kann, um dir wirklich gute Therapie zu bieten.

Was macht Therapie erfolgreich?

Mit diesem Drang bin ich übrigens nicht allein. Auf die Spitze getrieben wurde er in den Neunzehnhundertsiebziger Jahren, als Richard Bandler und John Grinder beschlossen, drei berühmte Psychotherapeuten ihrer Zeit zu besuchen – Virginia Satir, Fritz Perls und Milton Erickson – um sie zu beobachten und herauszufinden, was genau sie taten, um so erfolgreich zu sein. In der Hoffnung, auf diese Weise das Mysterium ›Psychotherapie‹ zu entschlüsseln.
Herausgekommen ist das Neurolinguistische Programmieren, NLP, mit der zugrundeliegenden Annahme, dass man sich als Therapeut lediglich ein Repertoire einzelner Fertigkeiten aneignen müsse, um die perfekte Therapie anbieten zu können.
Spoiler: Na ja, du kannst es dir denken.

Allgemeine Wirkfaktoren in der Psychotherapie

Auf der anderen Seite herrschte permanent Streit darum, welches Therapiemodell denn nun ›besser‹ und ›erfolgreicher‹ sei als alle anderen.
Die Psychoanalyse schien doch eh lange überholt, die Verhaltenstherapie bekämpfe lediglich die Symptome, anstatt deren Ursache zu beseitigen, die Humanistischen Therapieverfahren seien allesamt unwissenschaftlich und esoterisch.

Man versuchte, die Frage nach dem wirksamsten Therapiemodell in verschiedenen Studien sowie einer großangelegten Metastudie zu beantworten – ohne ein eindeutiges bzw. unanfechtbares Ergebnis.

Der Psychotherapieforscher Klaus Grawe war es, der schließlich darauf umschwenkte, schulenübergreifende Faktoren zu identifizieren, die Therapie wirksam machen. Er kam auf folgende fünf allgemeine Wirkmechanismen:

1. Die therapeutische Beziehung
Wenn du und ich uns entschließen, einen therapeutischen Prozess zu beginnen, schließen wir ein therapeutisches Bündnis und erschaffen ein Miteinander, in dem du dich wertgeschätzt und sicher fühlst.

Hier kommt die ursprünglich von Carl Rogers’ postulierte therapeutische Grundhaltung ins Spiel: Akzeptanz, Empathie und Kongruenz.

Konkret bedeutet das, dass ich meine persönlichen Belange zurückstelle, um mich vollkommen auf deine Person und deine Inhalte einzustellen. In unseren Stunden bin ich ausschließlich für dich da. Da, dich zu sehen und anzuhören und mich in dich einzufühlen – während du einfach unzensiert du selbst sein kannst ohne Angst, mir zu viel zu werden oder aus irgendwelchen Gründen von mir abgelehnt zu werden.
Außerdem kannst du dich darauf verlassen, dass ich bei dir oder mit dir keinerlei eigene Ziele oder Bedürfnisse verfolge.

2. Aktivierung deiner Ressourcen
Was willst du erreichen?
Auf welche Fähigkeiten kannst du dabei zurückgreifen?
Wen gibt es in deinem Leben, der dich dabei unterstützen kann?
Was kannst du tun, um noch mehr Unterstützung aufzutun?
All das werden wir herausarbeiten, anbahnen und verfolgen.

3. Erlebbarmachen des bearbeiteten Problems in der Therapie
Das passiert ja bereits, indem du davon erzählst und wir darüber sprechen.
Doch darüber hinaus gibt es viele Techniken, die dich das noch intensiver erleben lassen. Systemische Aufstellungen, Stühlearbeit, Imaginations- und Konfrontationsübungen, Rollenspiele, Visualisierungen, Schreibaufgaben ... 
In diesem Zusammenhang können wir auch das von Freud im Rahmen seiner Psychoanalyse entdeckte Phänomene der Übertragung und Gegenübertragung nutzen. Das bedeutet, dass es sein kann, dass du meine Person als Projektionsfläche für deine Themen ›nutzt‹, also mich in deine Muster einbaust und damit automatisch dafür sorgst: Dass die Inhalte deiner Therapie in unseren Stunden erlebbar werden.
Darauf reagiere ich in irgendeiner Weise - meine Gegenübertragung - was uns auch wieder neue Einsichten liefern kann.

4. Aktive Hilfe zur Problembewältigung
Das können Übungen zur Regulation deiner Emotionen sein, verhaltenstherapeutische Konfrontation mit deinen Ängsten oder Zwängen, Erarbeiten eines Plans für ein Gespräch, das du führen möchtest, ein Rollenspiel oder auch ein Besuch von mir in deiner Messie-Wohnung ...
Es wäre auch möglich, einen Menschen mitzubringen, mit dem du etwas zu klären hast und sozusagen eine Mini-Gruppentherapie-Sitzung zu gestalten.

5. Klärung: Was geht in dir vor und warum?
Dich selbst zu erforschen mit deinen bewussten und auch unbewussten Sehnsüchten und Bedürfnissen, macht es einfacher, dir Ziele zu setzen und diese letztendlich auch zu erreichen. 
Meine Rede. Lass uns gemeinsam ein Modell für dein Innenleben basteln!

Die Therapeutische Beziehung ...

... wird heute - und zwar von allen ernstzunehmenden Schulen - als das entscheidende Kritterium für das Gelingen von Psychotherapie anerkannt. Mit ihr steht und fällt alles, was Klient und Therapeut miteinander erreichen können.
Was sich absolut mit meinen persönlichen Erfahrungen deckt.

... und der Zauber, der aller menschlicher Entwicklung zugrundeliegt

Welchen ich ja auch schon am eigenen Leib erfahren durfte: 
Therapie ist so viel mehr als die Summe irgendwelcher Methoden und Interventionen!

Eben nicht technisch zu durchdringen, nicht kontrollierbar – und auch nicht in diesem Sinne ›machbar‹. Therapie passiert. Besonders gut in einer sicheren und authentischen therapeutischen Beziehung, in der du gesehen, gefühlt und akzeptiert wirst. Dann kann man sich vom Prozess tragen lassen und darauf vertrauen, wie meine Therapeutin sagt.

Das kann durchaus schwierig sein

Wenn du im Kopf schon drei Schritte weiter bist und genau weißt, was du anders machen, was du erreichen willst – nur dass der Rest von dir nicht nachzukommen scheint.
Wenn jeder Schritt ewig zu dauern scheint oder Rückschläge kommen, die einen gefühlt an den Anfang zurückwerfen.
»Das Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht«, habe ich sehr oft von einer Freundin zu hören bekommen. Ein Umstand, den ich oft verflucht habe.
Auch als Therapeutin ist es zuweilen nicht so leicht – den Prozess eben nicht kontrollieren zu können, keinen magischen Werkzeugkoffer im Angebot zu haben, der automatisch wirkt und für dich ganz schnell alles wieder gut macht.

Es lebe Rogers Idee der Selbstverwirklichung! 

Doch unterm Strich ist dieses in uns Menschen angelegte Potential zu Wachstum und Entwicklung natürlich ein unfassbares Glück: 
Wir können uns darauf verlassen, dass wir uns weiterentwickeln. Wir brauchen nicht panisch zu versuchen, unseren Wachstumsprozess unter Kontrolle zu kriegen oder ihn krampfhaft zu optimieren, sondern können uns entspannen und darauf vertrauen, dass wir wachsen. 
Zu unserer Zeit. In unserem Tempo. Mit unseren Fähigkeiten in unserem Leben.

Es wird nicht so bleiben, wie es jetzt ist, ganz egal, ob du dir das wünschst oder nicht, ob du das forcierst oder passiv abwartest. Das Leben geht weiter, du gehst weiter – und es wird anders.